Fakultät für Geistes- und Kulturwissenschaften

Philosophin Andrea Luquin Calvo im Interview: "Meine Arbeit an der Bergischen Universität Wuppertal hat mir viele Perspektiven für zukünftige Forschung aufgezeigt"

26.07.2023|13:45 Uhr

Foto: Andrea Luquin Calvo

Andrea, schön, dass du da bist. Erklär’ uns doch kurz, was du in Wuppertal gemacht hast.

Ich bin dank des Forschungsnetzwerks „El legado literario-filosófico del exilio español en México“ („literarisch-philosophische Erbe des spanischen Exils in Mexiko“) hier, das Prof. Dr. Matei Chihaia aufgebaut hat. Ich war bereits im letzten Jahr mit einem Stipendium hier in Wuppertal und dieses Jahr bin ich wieder da: Wir hatten bereits einige Veranstaltungen mit dem Netzwerk, etwa eine Konferenz, Buchpräsentationen oder einen Vortrag bei einer Veranstaltung mit dem Comiczeichner KIM. Aber vor allem hatte ich die Möglichkeit – was sehr schön war – eine Filmreihe im Rahmen der Seminarreihe „España Interseccional“ von Susana Pinilla Alba zu präsentieren. Aktuell gibt es einen großen Boom spanischer Filmemacherinnen, weil viel Wert auf eine Politik der Gleichstellung gelegt wird. Das Ergebnis ist, dass es heute viele wichtige spanische Regisseurinnen gibt – viele ihrer Filme wurden etwa auf der Berlinale vorgestellt, wo im letzten Jahr Carla Simón mit „Alcarràs“ gewann. Wir haben hier in Wuppertal vier Filme von vier verschiedenen Filmemacherinnen aus vier verschiedenen Orten Spaniens gezeigt, um die große Diversität darzustellen. Ich bin sehr glücklich über die Rezeption hier. Wir konnten damit etwas Zeitgenössisches aus Spanien präsentieren, das zeigt, wie divers und dynamisch die spanische Gesellschaft ist.

Woher kommt dein Interesse am Kino?

Ich habe audiovisuelle Kommunikation in Mexiko studiert. Ich habe mich immer für Kino und Literatur interessiert: als Form, die Realität zu verstehen. Später entstand irgendwann ein Interesse für Philosophie. Heute neigt mein Interesse manchmal mehr zur Literatur, manchmal mehr zum Kino. Für mich ist der Film insgesamt etwas sehr Interessantes, weil ich ihn – abgesehen vom künstlerischen Ausdruck – auch als eine Form des Nachdenkens über die Realität zu verstehen versuche. Ich glaube, dass – obwohl wir im Goldenen Zeitalter der Serien leben – das Kino noch immer ein Schlüssel ist, das Leben aus einer visuellen Sprache heraus zu verstehen, was wirklich sehr komplex ist. Filme sprechen uns emotional anders an als Literatur – sie bleiben aber sehr wirksam.

Du hast viel zum spanischen Exil in Mexiko während des Bürgerkriegs geforscht. Warum interessiert dich das?

Meine Familie kommt eigentlich aus Girona, Spanien. Während der Aufstände im Bürgerkrieg [1936 – 1939] stand mein Urgroßvater auf Seiten der republikanischen Armee. Den Bürgerkrieg aber gewann Franco und die Diktatur begann. Deshalb gingen meine Urgroßeltern mit ihren vier Kindern – unter anderem meiner Großmutter – nach Frankreich. Dann aber mussten sie auch aus Frankreich fliehen, weil der Zweite Weltkrieg begann, außerdem saß ein Onkel meiner Großmutter dort im Konzentrationslager. Es gab zu dieser Zeit verschiedene Regierungen auf der Welt, die spanischen Flüchtlingen Asyl anboten, unter anderem Mexiko – wohin meine Urgroßeltern gingen und im Juli 1939 ankamen. Bis zum Tod des Diktators [1975] kehrten sie nicht mehr nach Spanien zurück. Ein anderer Teil meiner Familie aber blieb länger in Frankreich und ging sogar nach Spanien zurück. Mein Interesse am Exil kommt also von den Geschichten meiner Großmütter. Es gibt ein kurioses Phänomen bei Nachfahren von Exilierten: Deren Kinder wissen oft wenig darüber, was ihren Eltern passiert ist, weil die ihre Erfahrungen lieber vergessen wollen oder Angst haben. Mit den Enkeln aber ist das anders: Großeltern sind immer offener mit ihren Enkeln, die Beziehung ist eine andere. Das können viele Exilierte bestätigen – die Enkel von Exilierten wissen oft mehr als die Kinder. Ich selbst bin irgendwann aus Mexiko nach Spanien gegangen, um zu promovieren. Ich dachte damals eigentlich noch, ich würde über Kino promovieren oder über Malerei [Andrea Luquin Calvo promovierte schließlich in Philosophie; Anm. d. Red.]. Ich entschied mich, über Remedios Varo zu forschen, eine sehr wichtige spanische Malerin im mexikanischen Exil. Ich fand dort eine starke Verbindung zu vielen Gefühlen, die ich kannte, und begann dann, dem Faden zu folgen, wie die Kunst oft einen Teil des Exils ausdrückt, den der akademische Diskurs nicht beschreiben kann.

Was hat dir dein Aufenthalt an der Uni Wuppertal gegeben, was dir für deine Forschung geholfen hat?

Die Existenz des Forschungsnetzwerks ist schon sehr wichtig, weil es in Spanien kein solches Netzwerk gibt, das die Beziehung von Literatur, Philosophie und Exil untersucht und die verschiedenen Teile zusammenführt – die Philosophie und die Literatur beäugen sich ja oft eher suspekt. Es war für mich sehr wichtig, einen Ort zu finden, an dem ich an der ganzen Thematik arbeiten kann. Ich konnte hier außerdem Menschen kennenlernen, die ebenfalls an dieser Perspektive auf das Thema interessiert sind. Für mich war das Netzwerk und die Uni Wuppertal genau das: ein Treffpunkt, ein Ankerpunkt. Und getroffen habe ich hier nicht nur bekannte Perspektiven, sondern auch mögliche zukünftige. Wofür wir kämpfen, ist das Denken des Exils nicht nur im lateinamerikanischen oder spanischen Kontext, sondern auch im europäischen – am Ende des Tages ist es ein antifaschistisches Exil in der großen antifaschistischen, demokratischen Strömung Europas gewesen. Meine Arbeit hier hat mir viele Perspektiven für zukünftige Forschung aufgezeigt – ich werde wiederkommen.

Zum Schluss: Eine Sache, die du aus Wuppertal in Erinnerung behalten wirst.

Ich würde „Tuffi“ sagen… (lacht). Das ist eine Geschichte wie aus einem Film von Almodóvar. Aber ernsthaft: Ich werde mich immer an das Grün der Stadt erinnern. Das ist ein wunderbarer Ton – ich nenne es nukleares Grün. Wenn es regnet und dann die Sonne hervorkommt – dieses Grün der Wälder ist wunderbar.

Weitere Infos über #UniWuppertal: